1. Einleitung
Ein zentraler Baustein des Kinderschutzes ist ein Konzept zum Schutz vor Gewalt gemäß § 45 SBG
Abs. 2 Nr. 4.; so schreibt es der Gesetzgeber vor.Im Rahmen der Erarbeitung eines
Gewaltschutzkonzeptes haben wir uns ausführlich mit dem Thema Sexualpädagogik in der
Kindertagesstätte auseinandersetzt, so wie es die fachliche Orientierung des Landes Niedersachsen zur Erstellung eines Konzeptes zum Schutz vor Gewalt für betriebserlaubnispflichtige Einrichtungen vorsieht.
Alle Mitarbeitenden sind sich ihrer Vorbildfunktion sowie ihrer Verantwortung gegenüber jedem einzelnen Kind bewusst. Kinderschutz beginnt mit einer Kultur der Achtsamkeit und Wertschätzung und einer aufmerksamen Grundhaltung der Mitarbeitenden, um Kinder ganzheitlich in ihrer Entwicklung zu begleiten, damit diese sich zu selbstbewussten Menschen entfalten.
Somit ist Sexualpädagogik als ein Bestandteil einer ganzheitlichen Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder, wie im Bildungsauftrag verankert, zu betrachten.
Ziel der Erarbeitung dieses Konzeptes ist es, die Fachkompetenz der Fachkräfte zu stärken, so dass mit Fragen und Themen der Kinder und deren Familien handlungssicher umgegangen werden kann.
Die alltagsintegrierte Umsetzung des Konzeptes ist darauf ausgerichtet offen und respektvoll mit dem Thema umzugehen sowie die Kinderauf ihrem Erfahrungsweg altersentsprechend zu begleiten und zu unterstützen. Klare und transparente Regeln werden bewahrt, Tabuisierung und Bestrafung haben keinen Platz, Toleranz hat einen hohen Stellenwert.
Die UN-Kinderrechtskonventionen werden beachtet und eingehalten. Mit deren Anwendung, auch im Rahmen des Gewaltschutzkonzeptes, leisten wir einen präventiven Beitrag, Kinder vor sexuellen Übergriffen zu schützen.
2. Entwicklung kindlicher Sexualität, Gemeinsamkeiten und Unterschiede
zwischen kindlicher Sexualität und Erwachsenensexualität
Die sexuelle Entwicklung ist ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsentwicklung und beginnt bereits mit der Geburt. Wie in allen Entwicklungsbereichen benötigen Kinder auch in diesem Bereich Begleitung. Wir sehen es daher als unsere Aufgabe an, die Kinder ihrem Alter entsprechend zu unterstützen. Kinder sind neugierig und auf der Suche nach körperlichen Wohlbefinden. Wenn sie im Spiel sexuelle Lust empfinden, so geschieht dies absichtslos und spielerisch.
Die zentrale Bedeutung von Sexualität liegt in der Erfüllung der psychosozialen Grundbedürfnisse, dem Gefühl von Angenommensein und Zugehörigkeit, das vor allem durch körperliche Berührungen kommuniziert wird.
(Ahlers,2017 S. 17ff.)
Hierzu gehört auch das Thema Freundschaft. Im Kindergartenalter beginnen Freundschaften und Zugehörigkeit eine größere Rolle zu spielen und nehmen an Bedeutung zu.
3. Die psychosexuellen Entwicklungsphasen von 1 bis 6 Jahren
Säuglinge, Erstes Lebensjahr:
Die psychosexuelle Entwicklung beginnt mit der Geburt.Im ersten Lebensjahr dient der Mund als Haupt – Lust- und Erfahrungsquelle. Körperteile und Gegenstände werden durch Berühren, Saugen, Lutschen und Beißen erkundet. Kinder saugen nicht nur um Nahrung aufzunehmen, sondern auch um sich ein Wohlgefühl zu verschaffen. (z.B.der Schnuller)
Wohlbefinden, Sicherheit und Vertrauen wird auch beim Kuscheln und Streicheln mit den Eltern empfunden. Somit wird eine intensive Bindung aufgebaut, die eine Grundlage für eine gesunde seelische Entwicklung bedeutet.
Zweites Lebensjahr:
Die Kleinkinder werden sich ihrer Unterschiedlichkeit bewusst (Entwicklung der Identität). Zu Beginn des zweiten Lebensjahres beginnt die Schließmuskelbeherrschung, das Interesse für ihre Körperausscheidungen und die dazugehörigen Zonen.
Drittes Lebensjahr:
Kleinkinder entwickeln ein erstes Schamgefühl. So möchten sie zum Beispiel nicht mehr von jedem auf die Toilette begleitet werden. Daher sind die Toiletten auch im Krippenbereich durch Schamtüren getrennt.
Für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes ist es wichtig zu erfahren, dass es selbst bestimmen darf, welche Berührungen akzeptiert und welche das Gegenüber akzeptiert. In dieser Phase übt das Kind seine Widerstandskraft durch das Zeigen des eigenen Willens.
Viertes bis sechstes Lebensjahr:
In diesem Alter entwickeln die Kinder eine Geschlechterstabilität und Geschlechterkonstanz. Die Kinder interessieren sich für ihren eigenen Körper und ziehen vergleiche zu ihrem Gegenüber. Häufig im Zusammenhang mit Rollenspielen.
So unterstützen wir Kinderin ihrer psychosexuellen Entwicklung
- Wir unterstützen die Kinder in der Stärkung des Vertrauens auf die eigenen Fähigkeiten und der Entdeckung ihres Selbstbildes.
- Wir vermitteln den Kindern eine positive Haltung dem eigenen Körper gegenüber.
- Kinder werden bestärkt, selbstbestimmt zu entscheiden, was ihremKörper guttut und was nicht.
- Wir bestärken Kinder im Umgang mit ihren eigenen Gefühlen wie Glück, Angst, Freude,Trauer, etc.
- Kinder dürfen und sollen eigene Grenzensetzen und „Nein“ sagen. Es wird von anderen akzeptiert.
- Kinder lernen die Grenzen anderer kennen und halten diese ein.
- Wir respektieren die Persönlichkeitsbereiche und das Schamgefühl.
- Wir bestärken Kinder darin, dass sie Körperkontakt zurückweisen dürfen.
- Wir respektieren die unterschiedlichen Werte und Normen der Erziehung in den Familien.
- Ein professioneller und einheitlicher Umgang mit Nähe und Distanz wird durch alle Mitarbeitenden eingehalten.
4. Geschlechtsidentität und Geschlechtsrolle
Der Begriff „Geschlechtsidentität (engl.: gender Identity)“ bezeichnet das Wissen und Bewusstsein, einem bestimmten Geschlecht anzugehören.
Der Begriff „Geschlechtsrolle (engl.:gender role)“ meint die sozial präsentierte Geschlechterrolle, welche in derGesellschaft gezeigt wird.
In der Regel werden Kinder spätestens mit der Geburt auf ein Geschlecht festgelegt, zumeist anhand des aktuellen Zustands der äußern Geschlechtsorgane.
Seit Beginn des Jahres 2019 steht im deutschen Personenregister ein drittes Geschlecht zur Wahl: divers.
Alle Geschlechter sind nicht vollständig gleich, jedoch gleichwertig und gleichberechtigt.
Um Kinder gleichberechtigt zu begleiten, erfordert es ein stetiges Reflektieren von
geschlechtsstereotypem Rollenverhalten, welches durchaus ungewollt praktiziert wird.
Daher ordnen wir Kindern keine geschlechterbestimmten Verhaltensweisen zu und setzten
gleichberechtigte Impulse. Wir beurteilen Kinder nicht nach ihren Äußerlichkeiten, respektieren Gefühle und lasse diese zu.
5. Wickeln
Besonders im Krippenbereich übernehmen die Fachkräfte Körperbezogene Tätigkeiten wie das Wickeln, das Anziehen und das Essen anreichen.“ All diese Tätigkeiten stehen in engem
Zusammenhang mit der körperlichen Entwicklung und somit auch mit der kindlichen Sexualität.“
(Redecker/ Winter2021)
Das Wickeln ist ein sehr sensibler, privater Bereich und eine Nahsituation zwischen Kind und
Fachkraft, die Vertrauen erfordert. In den Intimbereich eines anderenMenschen einzugreifen, darf nur mit einem eindeutigen Einverständnis geschehen.
UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 12: Berücksichtigung des Kindeswillens „Kinder müssen bei allen Entscheidungen, die sie betreffen, nach ihrer Meinung gefragt werden. Kinderdürfen ihre Meinung frei heraus sagen und diese muss dann auch berücksichtigt werden.“
Folgende Vereinbarungen gelten für das Wickeln von Kindern in unserer Einrichtung:
- Die päd. Fachkraft übernimmt das Wickeln erst nach Aufbau eines Vertrauensverhältnisses (siehe Einrichtungskonzeption Thema Eingewöhnung)
- Wickeln nach Bedarf
- Sprachliche Begleitung der Wickelsituation
- Die Wahrung der Intimsphäre wird beachtet
- Förderung der Selbstständigkeit
6. Körpererkundungsspiele
Ungefähr mit dem dritten Lebensjahr beginnen Kinder, ihren Körper zu erkunden und Unterschiede zu anderen zu erkennen.
“Etwa ab dem vierten Lebensjahr nehmen die Spiele zumeistden Charakter von Rollenspielen an, zum Beispiel als Arztspiele oder Vater Mutter Kind Spiele. Häufig ahmen die Kinder dabei das bei Jugendlichen und Erwachsenen beobachtete sexuelle Verhalten nach, wenn sie Händchenhalten, knutschen, sich einen Kuss geben oder Hochzeitspielen.“ ( Maywald 2024 S.107).
Kinder brauchen eindeutige Regeln, um hier ihre eigenen persönlichen Grenzen vertreten und die Grenzen der anderen Kinder wahrnehmen und achten zu können. Diese Begleitung, in der die Kinder beispielsweise lernen, dass sie „Nein!“ sagen dürfen, wenn sie eine Berührung nicht akzeptieren, ist ein wichtiger Teil der Prävention von sexuellem Missbrauch. Die pädagogischen Fachkräfte haben das Spiel der Kinder im Blick und schreiten ein, wenn Grenzen überschritten werden.
So regeln wir Körpererkundungsspiele in der Kita
- Jedes Spielder Kinder ist freiwillig, niemand wird überredet.
- Wir haben das kindliche Spiel im Blick, um sicherzustellen, dass das Spiel von allen Beteiligten akzeptiert wird. Dabei achten wir auf verbale und nonverbale Signale.
- „Nein“ wird in allen Lautstärken akzeptiert. Das Spiel wird sofort beendet, wenn eine Person dies verbal oder nonverbal äußert.
- Kinder entkleiden sich in den Spielphasen nicht komplett.
- Die Kinder „untersuchen“ sich untereinander nur so viel,wie es sie für sie in Ordnung ist.
- Jedes Kind bestimmt selbst über seinen Körper.
- Niemand steckt einem anderen Kind etwas in den Mund,in die Nase oder ins Ohr, in den Po, in die Scheide oder in den Penis.
- Wir stehen mit den Eltern im Austausch, um Unsicherheiten und Ängste zu vermeiden.
- Hilfe holen ist kein Petzen.
7. Hygienekompetenz entwickeln
Diese Phase ist ein Reifungsprozess, der zwei bis vierJahre dauern kann, der mit der unwillkürlichen Urin- und Stuhlabgabe des Säuglings startet und mit der reifen kontrollierten Blasen- und Darmentleerung des Kleinkindes endet. Vereinzelte oder auch länger anhaltende Rückfälle in Phasen nicht perfekter Kontrolle gehören zum normalen Entwicklungsverlauf.
Es ist ein Unterschied Zuhause oder in der Kindertagesstätte „trocken“ zu sein. Der vertraute Rahmen zu Hause bietet Sicherheit. Hier werden die ersten Schritte ohne Windel geprobt. Dieses heißt nicht, dass dieses auch zur gleichen Zeit in der Kita funktionieren muss.
So unterstützen wir diese Phase in der Kita
- Das „Trocken werden“ kann nicht erzwungen oder trainiert werden. Wir unterstützen das Kind dabei und geben Hilfestellung. Jedes Kind hat seinen eigenen Zeitplan.
- Nach Möglichkeit sucht sich das Kind aus, welche Fachkraft ihm Hilfestellung und Begleitung gibt.
- Das Vorbild durch andere Kinder hat eine motivierende Bedeutung.
- Kulturell geprägte Besonderheiten werden so weit wie möglich berücksichtigt und akzeptiert.
8. Masturbation bei Kleinkindern
Masturbation ist für einige Kinder etwas Normales, sie ist nicht schädlich oder krank.
Nicht alle Kinder masturbieren. Durch sie entdecken die Kinder ihren Körper. Wenn ein Kleinkind sich an seinen Geschlechtsteilen fasst oder reibt, weiß es nichts von gesellschaftlichen Tabus. Es erforscht und entdeckt seinen Körper.
„Beim Umgang mit masturbierenden Kindern sind Feingefühl und klare Grenzsetzung gefordert. Weder Entsetzen noch Gleichgültigkeit helfen hier weiter. Einerseits sollte die Fachkraft dem Kind vermitteln, dass Selbststimulation nicht etwas Verbotenes oder gar Schädliches ist. Andererseits muss das Kind lernen, dass Masturbation in Gegenwart anderer Menschen Befremden auslöst und Schamgrenzen verletzen kann.“
( Maywald 2024 S. 84)
So gehen wir mit damit um, wenn ein Kind in der Kita masturbiert
- Die Kinder werden mit ihren Bedürfnissen ernst genommen.
- Wir verstehen lustvolle Körpererfahrungen als Teil der Privatsphäre der Kinder und tolerieren diese.
- Das Kind wird angehalten, sich ähnlich wie bei anderen intimen Handlungen, einen ruhigeren abgeschirmten Ort zu suchen.
9. Elternarbeit
Bei der Zusammenarbeit mit den Eltern der Kinder sind uns Transparenz und Offenheit in allen Bereichen, die die Erziehung, Förderung und Begleitung der Kinder betreffen, sehr wichtig.
Gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen sind Grundpfeiler unserer Arbeit.
Die Begleitung der Kinderin ihrer Sexualentwicklung kann somit nur im Austausch mit den Eltern über unterschiedliche Werte, Erziehungsstile, Auffassungen, kulturelle, religiöse und familiären Prägungen gelingen
So gestalten wir die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern im Bereich
Sexualpädagogik
- Die Eltern werden über aktuelle Themen benachrichtigt, z.B. durch Tür- und Angelgespräche. Bei grenzverletzenden Verhaltensweisen von Kindern untereinander werden Gespräche mit den Eltern vereinbart.
- Kulturelle oder religiöse Besonderheiten und Elternwünsche nehmen wir zur Kenntnis und berücksichtigen diese – soweit sie nicht unserem sexualpädagogischen Konzept widersprechen.
- Die Aufklärung der Kinder zur Sexualität, Zeugung und Geburt ist kein Thema in der Kita, sondern wird in den Familien besprochen. Die Familie entscheidet für sich individuell, wie und was zu dem Thema zu Hause besprochen und erklärt wird.
- Fragen von den Kindern in der Kita werden von den päd. Fachkräften altersangemessen und verständlich beantwortet. Hierüber werden die Eltern informiert.
10. Sexuell Übergriffiges Verhalten
Es gibt Situationen in denen halten sich Kinder im Rahmen von Körpererkundungsspielen nicht an die Regeln und es kommt zu Grenzverletzungen oder sexuellen Übergriffen. In der Regel geschieht dieses nicht absichtsvoll. Meistens bemerken die Kinder schnell solche Grenzverletzungen und unterbrechen ihr Tun. Bei grenzverletzendem Verhalten ist das sofortige angemessene Eingreifen der pädagogischen Fachkräfte gefragt.
„Wegsehen, Banalisieren und eine falsch verstandene Lockerheit im Umgang mit Grenzverletzungen verunsichert und überfordert die Kinder, vernachlässigt ihre berechtigten Schutzbedürfnisse und kann dazu führen, dass sich die Übergriffe wiederholen oder sogar verschlimmern.“
( Maywald 2024 S.109)
So schützen wir die Kinder vor sexualisierter Gewalt
- Wir unterstützen Kinder darin „NEIN“ zu sagen,wenn sie etwas nicht möchten.
- Wir achten darauf, dass alle Kinder ihre Grenzen kennen und die der anderen Kinder respektiert werden.
- Wir vermitteln Kindern, dass sie sich immer Hilfe holen können und dieses nicht als „Petzen“ angesehen wird.
- In Problemsituationen beraten wir uns im Team.Mit der Fachberatung des Ev.-luth. Kirchenkreis Bramsche oder mit der insoweit erfahrenen Fachkraft
- In unserem Qualitätsmanagement für Kindertagesstätten QMSK® sind Abläufe bzw. Prozessregelungen zum Schutz vor Gewalt festgelegt. Diese Regelungen sind verpflichtend einzuhalten.
Wir werden dieses Konzeptregelmäßig überprüfen, im Team evaluieren und auf Vollständigkeit überarbeiten.
Literaturliste / Quellen:
Sexualpädagogik in der Kita, Jörg Maywald 2024
Sexualerziehung in der Kita, Michael Kröger 2. Auflage 2021, Don Bosco Medien
Sexualpädagogisches Konzept, Kindertagesstätten Nienburg
Ahlers, Christoph Joseph: Vom Himmel auf Erden. Was Sexualität für uns bedeutet, München 2017.
Gelingende Elternkooperation als Voraussetzung zum Umgang mit kindlicher Sexualität in
Kindertageseinrichtungen Sabine Recker und Verena Winter in Kindliche Sexualität in Kindertageseinrichtungen
Hrsg. Oliver Biena und Sylvia Kägi 2021